Heimatkunde

Schlösser, die im Monde liegen...Gehört das Flottbeker Schloß dazu?

 

1942 - Ich höre zum ersten Mal etwas von seiner Existenz. Vor uns Zweitklässlern steht in der Grundschule Röbbek Fräulein Wille, unsere ebenso großartige wie voluminöse Klassenlehrerin, und unterrichtet "Heimatkunde". Sie erzählt uns Kindern des Jahrgangs 1935, daß es einst in Flottbek ein Schloss gab, von dem kaum noch etwas bekannt sei.


Es gäbe keinerlei Überreste davon, weder Ruinen noch Literatur. Wo es stand, sei allerdings überliefert: Im Dreieck, gebildet durch die Klaus-Groth- (heute Waitz-), Gustav-Falke- (heute Alexander- Zinn-, zu Zeiten des Schlosses Voß-) und Groß Flottbeker Straße (die schon vor 1894 so hieß, später zur Bahnhofstraße wurde, bevor sie ihren alten und heutigen Namen zurück erhielt).
Ich meldete mich und sagte, dass ich genau dort wohnte, nämlich in der Groß Flottbeker Straße 3, im zweiten Haus von der Ecke Klaus-Groth-Straße auf der linken Seite.
Es folgte eine der großen Enttäuschungen meines Lebens: Ich war nicht der Nachfolger des Schlossherrn, sondern mein Elternhaus stand, wo sich früher die Stallungen befanden.
Von da an fand ich die Unterrichtstunde wohl uninteressant, erinnere mich jedenfalls an weitere Ausführungen unserer Lehrerin nicht mehr.


Erst die Erwähnung des Schlosses in der rund 40 Jahre später vom Bürgerverein herausgegebenen Chronik "Flottbek Othmarschen einst und jetzt" weckte erneut mein Interesse an diesem sagenhaften Schloß. Es heißt dort, das legendäre Schloß wäre ein Strohdachhaus gewesen, allerdings schon zweistöckig mit einem kupfergedeckten Glockenturm mitten auf dem Dach. Es hätte einen parkähnlichen Obst- und Gemüsegarten, ein Gartenhäuschen und einen Karpfenteich gegeben.


In einer Schrift aus dem Jahr 1921 von H.Harder fand ich dann Näheres: Der Verfasser bezieht sich auf Gespräche mit dem 95jährigen Herrn J. Diers und dem ein Jahr zuvor mit 90 Jahren verstorbenen Herrn Schadendorf. Diesen alten Herren sind wohl unsere Kenntnisse zu verdanken. Sie betonten, dass es von keiner rühmlichen Vergangenheit zu berichten gäbe. 1789 war das Schloss noch auf keiner Karte verzeichnet, aber ein Nachtrag zum "Erdbuch" nennt als Eigentümer Kammerrath von Bülow. Er wäre wohl vor seiner Frau gestorben; denn die ältesten Einwohner hätten immer nur von der "gnädigen Frau von Bülow" gesprochen. Das Haus hätte einen freundlich-ruhigen Eindruck gemacht. Wirtschaftsräume und Bedienstetenwohnungen hätten sich nach Süden an das Haupthaus angeschlossen, das wohl an der Dreieckspitze der umgebenden Straßen stand, wodurch ein Hofraum gebildet wurde. Zwei Tore, eines davon mit prächtigem Bogen, hätten "hinaufgeführt". Das Grundstück wäre umgeben gewesen von einer Dornenhecke mit Unterbrechung durch Holzplanken, an deren Innenseite Spalierobst wuchs. An der Ostseite zur Bahnhofstraße hin hätte eine Scheune gestanden. Ob Fräulein Wille diesen Bau als Stallung bezeichnet hatte? Fragen kann ich sie leider nicht mehr.
Wohl um 1840 soll die "gnädige Frau" ohne Erben verstorben sein, das Schloss wechselte mehrfach den Besitzer, bis es als ziemlich verfallenes Gemäuer von dem Othmarscher Kaufmann von Roosen übernommen wurde, der es abbrechen ließ. Wann, ist nicht überliefert, nur daß es 1849 schon nicht mehr stand. Der dänische Militärarzt Dr. Goldeck kaufte dann das Grundstück, das erst später parzelliert wurde. Mein Elternhaus entstand 1889 und wurde 1972 nach dem Verkauf durch meine Schwester und mich vom Käufer abgerissen.

 

Interessant ist, dass die Schrift von Harder eine Federzeichnung enthält, wie das Schloss ausgesehen haben könnte. Die Gemeinde Groß Flottbek gab im Inflationsjahr 1921
Notgeldscheine aus. Einer zeigt das Flottbeker Schloss. Soweit mir bekannt, gibt es keine weiteren Aufzeichnungen über diesen Teil unserer Ortsvergangenheit. Am Christianeum
hätten wir resümiert: Sic transit gloria mundi - so vergeht der Ruhm der Welt, aber zum Ruhm hat das Schloß es nie gebracht und seinen Namen wohl auch kaum verdient.
Wir Flottbeker können aber immerhin ungestraft behaupten, auch bei uns hätte es einst ein Schloss gegeben!


Mein Bedauern, mich nicht als Schlossherr (wenn auch zweiter Klasse) fühlen zu dürfen, ist zwar geblieben. Aber nun wohne ich im Sohrhof, halte also dort Hof, kann jeder Besucherin den (Sohr)Hof machen und sie reinen Gewissens als Hofdame titulieren. Dass manche mich dann als Hofnarren bezeichnen, schmälert mein Vergnügen keineswegs.

Hans-Günther Steffens